In Güntersleben läuft's

Die Mitgliederzahlen bei der Kolpingsfamilie Güntersleben steigen. Eine Rolle spielen dabei die Arbeit der Kolpingjugend und das "Team Junge Familie".

Foto der Fotografin Barbara Bechtloff mit Kamera in der Hand

Text und Foto

Barbara Bechtloff

An einem Freitagabend kurz vor 20 Uhr steht eine 100 Meter lange Menschenschlange vor der Festhalle in dem fränkischen Dorf Güntersleben. Einige Straßenlaternen werfen die langen Schatten der Wartenden auf den Parkplatz vor der Halle. Es ist kalt und dunkel, aber die Stimmung ist gut. Alle fiebern dem Einlass zum “Late Night Shopping” des gut organisierten, großen Secondhand-Kleider- und Spielzeugmarkts der Kolpingsfamilie Güntersleben entgegen.

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Viele helfende Hände

In der Halle sortieren ein paar Helfende die letzten Artikel. Noch ist es ruhig, doch die Anspannung angesichts des bevorstehenden Ansturms der Schnäppchenjäger*innen ist spürbar. Kerstin Öffner schaut sich mit ihrem sechsjährigen Sohn Anton noch bei den Spielzeugen um. Sie und Katharina Ziegler haben gemeinsam mit Andrea Heller den Kleidermarkt federführend organisiert. Kerstin und Katharina sind Leiterinnen des “Team Junge Familie” in der Kolpingsfamilie Güntersleben. Auf dem Markt werden 15.000 bis 18.000 Artikel – Kinder- und Damenbekleidung sowie Spielzeug und Kinderwagen – verkauft. "Jedes Jahr denke ich: Es ist Wahnsinn, was wir hier machen«, sagt Kerstin. “Hier liegen Artikel im Wert von rund 45.000 Euro”. Kein Wunder, dass sie in den Nächten vorher schlecht schläft. Zum Glück müssen Kerstin, Katharina und Andrea den Kleidermarkt nicht allein organisieren. “Leute zu finden, die Verantwortung übernehmen, ist schwierig”, sagt Katharina. "Leute zu finden, die helfen, ist gar kein Problem", ergänzt sie. So bauen auch heute rund 100 Helfende seit dem frühen Nachmittag Tische in der riesigen Halle auf. Sie sortieren die Kleidung, die seit 15 Uhr mit QR-Codes und Preisen versehen abgegeben werden konnte, nach Größen.

Ein Zeltlager mit Kultstatus

Neben Spenden fließt ein Teil der Einnahmen des Marktes in die Arbeit der Kolpingsfamilie. Davon werden beispielsweise neue Zelte für das legendäre Zeltlager der Kolpingjugend angeschafft. Das Zeltlager ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Erfolg der Kolpingsfamilie Güntersleben zu erklären ist: Jedes Jahr in den Pfingstferien fährt die Kolpingjugend Güntersleben (kurz KoJuGü) mit einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen ab der vierten Klasse für eine Woche zelten. Seit Generationen ist klar: Das Zeltlager ist Kult! Hier werden lebenslange Freundschaften geschlossen, und so manche Günterslebener Ehe nahm hier ihren Anfang. "Kein Wunder also, dass die Leute sagen: 'Die sind cool. Da will ich auch mitmachen'", erklärt Fabian Dobisch, Vorstandsmitglied der Kolpingjugend. Eine Mitgliedschaft bei KOLPING ist keine Pflicht, um dabei zu sein. Allerdings werden Mitglieder bevorzugt, wenn die Plätze knapp sind. “Das macht es attraktiv, Mitglied zu werden”, sagt Kerstin. Gleichzeitig wird darauf geachtet, Nicht-Mitglieder teilnehmen zu lassen, denn die Kolpingsfamilie lebt von Nachwuchs. Auch die Angebote der Gruppenstunden, das Vater-Kind-Zelten und vieles mehr sind verlockend. Mittlerweile gibt es in dem 4.500-Seelen-Dorf 644 Kolpingmitglieder, davon sind fast 200 unter 30 Jahre alt. Und diese Tendenz ist seit Jahren steigend.

KOLPING ist cool!

Was die Kolpingsfamilie bedeuten kann, wird verständlich, wenn man Katharina Ziegler zuhört. Die 32-Jährige kam über ihren damaligen Freund und heutigen Mann zu KOLPING. "Als ich das erste Mal bei ihm übernachtet habe, sagte er am Samstagmorgen um 8 Uhr: Ich muss jetzt los zur Altpapiersammlung." Ob Garderobendienst beim Blütenball, einem festlichen Tanzball für ältere Semester oder einer anderen Veranstaltung, er habe immer mitgemacht, erzählt die Kinderkrankenschwester belustigt. Das habe sie neugierig gemacht. Als er nach dem Zeltlager wochenlang über nichts anderes mehr sprach, beschloss sie, beim nächsten Mal selbst als Betreuerin mitzufahren – und wurde prompt Kolpingmitglied. “Das steckt einen dann an”, erklärt sie lachend. Als niemand den Vorstand für das “Team Junge Familie” übernehmen wollte, stellte sie sich zur Wahl. Das ermöglicht ihr, Privatleben und Verbandstätigkeit miteinander zu kombinieren. Und die beiden Kinder werden zugleich an die Kolpingsfamilie herangeführt.

"Es macht einen Riesenspaß!"

Kerstin Öffner ist in Güntersleben mit KOLPING aufgewachsen. Die zierliche Frau hat eine offene und herzliche Ausstrahlung. In ihrer Kindheit besuchte die heute 40-Jährige die wöchentlichen Gruppenstunden. Das Zeltlager war stets ein fester Bestandteil ihres Jahresablaufs, erst als Teilnehmerin, dann als Gruppenleiterin. Hier lernte sie auch Matthias Öffner kennen. Als junge Frau zog es sie für das Studium in die Ferne: Sie arbeitete als Sozialpädagogin in Frankreich und der Schweiz. Sie traf Matthias wieder, und die beiden wurden ein Paar. Zusammen lebten sie eine Zeit lang in München. Das Leben ohne Ehrenamt gefiel der Sozialpädagogin ganz gut. “Ich fand es toll, an freien Wochenenden spontan in die Berge zu fahren oder Freunde zu besuchen”, sagt sie. Zurückkommen war eigentlich keine Option. “Aber da ich einen Günterslebener geheiratet habe, sind wir nach fünf Jahren als Familie zurückgekommen”, lacht sie. Entgegen ihren Vorsätzen ließ sich Kerstin in den Vorstand für das “Team Junge Familie” wählen, um Aktivitäten für andere und ihre eigene Familie mitgestalten zu können. “Ich dachte, es wäre schade, wenn es keiner macht und unsere Kinder nicht in der Kolpingsfamilie aufwachsen können”, sagt sie und ergänzt: “Wir sind schon ganz schön eingebunden. Aber es macht einen Riesenspaß.”

Eine lebendige Gemeinschaft – geprägt durch starken Zusammenhalt und Vertrauen

Aus den Gruppenstunden entstehen oft lebenslange Freundschaften, wie bei Matthias Öffner, der sich mit seiner Gruppe auch heute noch jeden Mittwochabend trifft. Er erinnert sich gerne daran, wie in seiner Kolpingjugendzeit der Gruppenraum “gekapert” wurde, nachdem die Musikgruppe ihn nicht länger benötigte: “Den haben wir uns geschnappt und erstmal alles Holz rausgerissen. Das hätte mega Stunk geben können, wenn die Erwachsenen uns nicht zugetraut hätten, dass wir das ordentlich machen.” Damit spricht Matthias das Vertrauen an, das den Mitgliedern der Kolpingjugend seit Generationen entgegengebracht wird, und den Freiraum, den sie genießen, aber auch die Verantwortung, die sie übernehmen. Matthias ist mittlerweile Abteilungsleiter bei einer Bank. Er sei ein schüchternes Kind gewesen, erinnert er sich zurück. Das fällt schwer zu glauben, wenn man dem 43-Jährigen, selbstbewussten Mann gegenübersitzt. “Die Verantwortung für 100 Kinder im Zeltlager zu übernehmen oder vor einer großen Menschenmenge auf der Bühne zu stehen – das hat mir sehr dabei geholfen, meine Schüchternheit abzulegen”, findet er. Das ginge vielen so, sagt auch Kerstin und fügt hinzu: “Neulich habe ich mit einer Gruppe zusammengesessen, und alle arbeiten jetzt in Vorständen. Sie haben gesagt, sie hätten unheimlich viel bei KOLPING gelernt.”

Trotz all dieser unbestreitbaren Vorteile sei es jedoch kein Selbstläufer, Menschen zu finden, die sich in Ämtern engagieren, betont Kerstin. Da brauche es viele Gespräche und Überzeugungsarbeit.

In Güntersleben sind die Wege kurz

Während in der Festhalle noch der Kleidermarkt aufgebaut wird, findet vor dem zehn Gehminuten entfernten Kolpinghaus, das auch das Pfarrheim ist, eine Gruppenstunde statt. Ein Dutzend Jungen im Alter von zehn bis zwölf Jahren spielen hier “Fangen”. Die beiden Gruppenleiter Hendrik Götz (17) und Luis Baumeister (19) schauen ihnen dabei zu. Immer wieder kommen die Jungen zu den beiden Gruppenleitern, suchen ihre Nähe. “Unsere Jugendarbeit ist darauf ausgerichtet, dass wir hier gemeinsam Spaß haben”, sagt Maria Kilian, Vorständin der Kolpingjugend. Davon zeugen auch die Wände des Jugendraumes mit den vielen Fotos und Collagen, in den sich die Teilnehmer der Gruppenstunde zurückgezogen haben. Etwas chaotisch ist es hier. Es gibt einen Kicker, eine Bar und eine Sofaecke, die schon bessere Zeiten gesehen hat, aber sehr gemütlich wirkt. Die Kinder spielen Gesellschaftsspiele oder unterhalten sich mit Hendrik und Luis, die beide bis vor ein paar Jahren selbst Teilnehmer der Gruppenstunden waren. Heute sind sie Schiedsrichter, Vertrauenspersonen und geben Orientierung. Das Hineinwachsen in verantwortungsvolle Rollen ist ein wesentlicher Bestandteil des gut funktionierenden Motors der Kolpingsfamilie Güntersleben.

Vorbilder mit Verantwortung

“Ich denke, wir sind Vorbilder”, sagt Maria Kilian, Jugendvorständin. Neben dem gemeinsamen Spaß gehe es auch darum, respektvollen Umgang zu pflegen und Konflikte mit Argumenten zu lösen, erklärt Vorstandskollege Fabian Dobisch. Die beiden bereiten gerade gemeinsam den Pfarrsaal für die Jahresversammlung der Kolpingjugend vor. Sie verteilen kleine Naschereien und Getränke auf den Tischen, die in V-Form Richtung Bühne ausgerichtet sind. Es wird eine Rückschau auf die Aktivitäten des Jahres geben, bei der auch die Informationen über Ausgaben und Einnahmen nicht fehlen dürfen. Im Anschluss werden einige Ämter neu besetzt. Nach und nach füllt sich der große Raum mit Mitgliedern der KoJuGü. Offensichtlich ist dies keine öde Veranstaltung, sondern eine weitere Möglichkeit, Gemeinschaft zu leben und Verantwortung zu übernehmen. Souverän stellen sich verschiedene junge Leute ans Rednerpult und berichten über die Aktionen des vergangenen Jahres. Selbst als Zahlen, Daten und Diagramme die Leinwand füllen, führt das an diesem Abend nicht zu gelangweilten und müden Gesichtern. Im Gegenteil: Die Freude über Erfolge und die Erinnerung an gemeinsam Erlebtes ist atmosphärisch greifbar.

Jede Kolpingsfamilie ist anders

Dieter Geissler ist der Vorsitzender der Kolpingsfamilie Güntersleben. Er ist auch zur Jugendversammlung erschienen. Für den 61-Jährigen ist es die letzte Teilnahme in dieser Funktion. Nach elf Jahren wird er sein Amt an ein jüngeres Kolpingmitglied weitergeben. Mit einigem Stolz schaut er in die Runde und sagt: “Das ist so eine starke Jugend hier. Ganz viele tolle junge Menschen kommen da raus und da hat KOLPING mitgeholfen.” Das Wichtigste, um eine Kolpingsfamilie gesund zu erhalten, sei, Kontinuität zu wahren und neue Ideen zuzulassen. Mit Ratschlägen ist er jedoch vorsichtig. “Die Bedingungen sind überall anders”, sagt er. Diese Meinung vertritt auch Matthias Öffner. Als Mitglied der Arbeitsgruppe “Begleitung und Beratung” (BuB) ist er Ansprechpartner für Kolpingsfamilien, die sich schwertun. Dabei werden die Programme, die Zielgruppen und der Ort angeschaut. “Dann fragen wir: Was ist euer Mehrwert als Kolpingsfamilie?”, sagt er, “und arbeiten das heraus.”

Sinnvolles tun

19:30 Uhr. Endlich öffnen sich die Tore für das Late-Night-Shopping. Viele Menschen strömen in die hell erleuchtete Halle. Schnell verteilen sie sich an den langen Tischen und beginnen, zu wühlen. Kerstin schätzt, dass bis zum Nachmittag des folgenden Tages ungefähr ein Drittel der Ware verkauft sein wird. Mit einem Teil des eingenommenen Geldes werden soziale Projekte wie eine Kinderkrebsstation oder die Kindertafel gefördert. “Es ist ein gutes Gefühl, Dinge nicht nur für sich, sondern auch für andere zu tun”, findet Kerstin Öffner. Während sie das sagt, wirkt sie angekommen und zufrieden in ihrem Amt und in Güntersleben. “Und es ist einfach schön, tolle Rückmeldungen und Dankbarkeit für das Engagement zu bekommen”, fügt Katharina hinzu. Die beiden sind mittlerweile gute Freundinnen.